Matthias war wieder on Tour und hat Golf gespielt. Dieses Mal ging es für ihn nach Spanien und Portugal und zum Glück hat er uns einen neuen Reisebericht mitgebracht. Weil er insgesamt 15 Plätze besucht, gespielt und durchlitten hat, kann es etwas ausführlicher werden. Deshalb teilen wir den neuen Reise-(Platz!)-bericht in Episoden auf. Achtung, jetzt kommt ein neuer Mehrteiler von Matthias – viel Spaß mit TEIL 1!
„Der beste Golfplatz ist immer der nächste.“
Seit inzwischen 20 Jahren stelle ich mich und einen guten Teil meines verfügbaren Zeit- und sonstigen Budgets in den Dienst der Forschung, um den Wahrheitsgehalt dieser Hypothese zu ergründen. Dabei fühle ich mich ein bisschen wie Dr. Jones Junior: auch ich hetze auf der Suche nach verborgenen Juwelen rastlos über die Kontinente, bahne mir hackend meinen Weg durch das Dickicht oder irre durch Sandwüsten, und auch bei mir gilt: egal wohin ich komme, Heerscharen von Deutschen sind schon da.
Also, Vorhang auf zum neuesten Abenteuer: „Matthias und der Bunker des Grauens“.
Tag 1, Praia d’El Rey
Ka-Ching!
Ich bin noch keine 60 Minuten im Land und tätige bereits die größte Investition des Golfabenteuers: für 102 Euro wechselt mein treuer Begleiter für die nächsten 19 Tage den Kofferraum. Bin ich alt geworden, dass ich mich jetzt nicht mehr ohne PowaKaddy auf die Golfplätze wage? Böse Zungen würden das vielleicht behaupten.
In erster Linie bin ich aber einfach ein Sparfuchs, und bei den geplanten etwa 15 Golfrunden jedes Mal einen Pulltrolley am Golfplatz zu leihen geht auch ordentlich ins Geld. Ein preiswerterer Trolley ohne E-Unterstützung war eigentlich meine erste Wahl, ist bei den Golfzeugverleihern am Flughafen Lissabon aber nicht zu bekommen. Außerdem begleitet mich in den ersten Tagen des Golftrips ein guter Freund, auch bei ihm würden böse Zungen vielleicht behaupten, dass er alt geworden sei. Die ersten vier Golfrunden wird er unseren Schlägersherpa spazieren fahren.
Eine gute Autostunde nördlich des Flughafens, kurz hinter Peniche, liegt auf wenigen Kilometern Küstenlinie ein formidables Golfplatz-Quartett: dreimal herausragend und einmal ziemlich gut. Wir haben nur drei Tage und lassen „ziemlich gut“ alias Bom Sucesso daher aus.
Herausragend Nummer 1
Herausragend Nummer 1, da ist sich die Golfwelt quer durch das World Wide Web einig, ist Praia D’El Rey. Ich teile die Auffassung mit kleinen Einschränkungen, wobei mein Urteil „ziemlich herausragend“ als Durchschnittsnote verstanden werden darf. Denn eigentlich gibt es zwei Golfplätze, die wie Yin und Yang ineinander verdreht sind.
Die „hintere“ Hälfte des Platzes, die Bahnen, die weder am Meer liegen noch darauf hinzulaufen, sind nett, mehr nicht. Dass als Durchschnittsbewertung immer noch eine eins minus herauskommt, zeigt, wie unbeschreiblich toll die untere Hälfte des Platzes sein muss, die Bahnen rund um das verfallene Farmhaus am Meer.
Die Greenkeeper scheinen meine Auffassung zu teilen. Auch sie verbringen ihre Zeit offensichtlich viel lieber auf den Bahnen 3 und 10-16. Dort hat jeder Grashalm die richtige Länge und Ausrichtung. Und sogar die Grashalme selbst beweisen Geschmack und drängen sich am Atlantik um die besten Plätze, dicht an dicht. Oben, in den Waldschneisen ohne Meerblick, tun sich hingegen einige größere Lücken auf. Wer will es ihnen verdenken.
Man beginnt die Runde in Praia d’El Rey also ein bisschen kopfkratzend. Bahn 1 ist okay, mehr nicht, was Design und Pflegezustand angeht. Bahn 2 bietet immerhin einen spaßigen Risk-Reward-Abschlag über die Ecke des Sees. Aber auch hier ist der Graswuchs eher Regionalliga als Weltklasse.
Verdammt sexy
Bahn 3 ist dann wie der erste Teaser eines Films, auf den man sehr lange gewartet hat: schön und vielversprechend, aber auch kurz und schnell vorbei. Immerhin: man sieht zum ersten Mal die britisch anmutende Dünenlandschaft, man sieht die berühmten halb verfallenen Cottages auf den Klippen, und man sieht, dass es hier unten noch ein paar weitere auf den ersten Blick verdammt sexy aussehende Bahnen gibt. Dann ist die Vorschau vorbei und Warten angesagt.
Es geht ein paar spielerisch recht interessante Bahnen zurück ins Hinterland, auf Bahn 8 lohnt es sich, einmal zurückzuschauen und die anderen Abschläge zu bewundern. Wie ein Miniatur-Rom ist die Bahn auf sieben kleine Hügelchen gebaut, und oben auf jedem der Hügel befindet sich ein anderer Abschlag.
Ja gut. Den einen oder anderen Abschlag musste ich vielleicht doppelt zählen, um auf sieben zu kommen. Stichwort künstlerische Freiheit.
Unsere beiden Flightpartner haben nur 9 Loch gebucht, und ich wundere mich, dass es in den Genfer Konventionen keine Klausel gibt, die das verbietet. Wie kann man in Praia d’El Rey jemandem das Yang verwehren? Seelische Grausamkeit sollte doch geächtet werden. Aber sie versichern mir, dass sie die Back Nine auch schon spielen durften und sich daher heute Nacht nicht in den Schlaf weinen werden.
Nur ein Loch zu zweit
Die Zehn spielen wir alleine, was okay ist, denn ab jetzt wird der Platz eine Augenweide. Ich nutze die Zeit und mache auf dieser Bahn etwa doppelt so viele Fotos wie Golfschläge. Es kommen ziemlich viele Bilder zusammen, ehe ich mir eine „8“ notiere und wir zum nächsten Abschlag schlurfen. Dort müssen wir so lange warten, dass der nachfolgende Zweierflight aufläuft. Ein sehr lustiges Pärchen aus der Schweiz, und ähnlich golfverrückt.
Jetzt ist alles perfekt; der Flight, das Licht, die Luft, die Stimmung. Es ist inzwischen später Nachmittag, die Sonne senkt sich langsam über den Ozean. Unter uns brechen glitzernd die Wellen; ihre Gischt wird in kleinen Schwaden die Klippen hinaufgetragen. Kein echter Nebel, nur Fetzen, die nach Salz schmecken und das Nachmittagslicht ein bisschen diffus, und damit noch schöner, machen. Kaum zu glauben, dass ich vor weniger als 24 Stunden noch gestresst bei der Arbeit saß und mich, getragen von der Mischung aus Adrenalin und Kaffee, durch das Finale der Futsal-WM gehangelt habe.
Ich bin glücklich und entschleunigt, und das kann man mir auch anmerken. Ich strahle breiter als Jim Carrey auf THC und spiele auf den vier Grüns, die direkt oberhalb der Klippen liegen, zwei formvollendete Genießer-Birdies. Einmal dank und einmal trotz des Windes. Das sind die Höhepunkte einer ansonsten mittelmäßigen Runde, ausgerechnet hier am Meer bei 4 Beaufort aus WNW. Ich beschließe, zuhause meinen Stammbaum noch einmal gründlich nach irischen oder britischen Wurzeln zu durchforsten.
Ich bin immer noch selig, als wir später an Bahn 19 in den Sonnenuntergang blinzeln und ein kühles Guinness schlürfen. Und gespannt: wenn die Vorschusslorbeeren der anderen Plätze genauso berechtigt sind wie heute, dann stehen uns noch außergewöhnliche Golftage bevor. Also zurück in unser kleines feines B&B, früh schlafen (wir sind nach portugiesischer Zeit seit 3 Uhr wach), über Nacht den Sherpa aufladen und weiter geht’s!
Tag 2, West Cliffs
Ich habe die Portugiesen in meinen Urlauben immer als sehr freundliches, entspanntes und geduldiges Völkchen erlebt. Gemessen daran ist der Starter in West Cliffs also schon fast hartnäckig, als er ein zweites Mal erwähnt, dass er mir bei Handicap 9 die 55er Abschläge empfehlen würde. Wirklich.
Er hat zweifellos Recht, und ich ebenfalls. Es ist halt die Frage, welche Art von Golfrunde man sucht.
Der Platz sei von den 59er Tees – zwei Nullen drangehängt ergibt die Gesamtlänge – dramatisch schwerer zu spielen als von den 55ern. Stimmt! Die zwei Schläge zusätzliche Vorgabe seien schnell aufgebraucht – ebenfalls korrekt. Sie halten gerade mal bis zur Bahn 3, dann sind sie genauso futsch wie der erste von heute 3 Bällen.
Ich würde, so sein Argument, also von den 55ern auch gemessen an der Spielvorgabe eine viel bessere Runde spielen. Stimmt ebenfalls. Also, er hat zweifellos Recht, hundertprozentig, und wer nicht sehr sicher ist, was er möchte, sollte dringend der Empfehlung folgen.
Ich bin mir aber sehr sicher, was ich heute will: ich will mit einem Drachen kämpfen, keinen Frosch küssen. Ich will wagen, scheitern, leiden, fallen, aufstehen, triumphieren, am besten alles an derselben Spielbahn. Ich will rasenden Puls schon beim Abschlag, fiesen Wind von links vorne und den Ball dann trotzdem irgendwie auf die Bahn peitschen. Ich werde heute all das bekommen, vom ersten Teil, dem mit dem Scheitern und Leiden, vielleicht ein bisschen mehr als vom Rest. Aber ich bekomme genau das, was ich gewollt habe.
Zudem spielen wir zu zweit, und vor uns sind Viererflights bis zum Horizont. Aufhalten werden wir heute also auch niemanden.
Ganz sicher von den 59er Tees
Ich danke dem Starter aufrichtig für seinen Ratschlag, erkläre ihm kurz meine Gründe und stelle mich der 5900 Meter langen Herausforderung. Gleich auf dem ersten Abschlag ein Vorgeschmack: Vor mir erst einmal hundert Meter undurchdringliches Buschwerk, das man auf jeden Fall carry überwinden muss. Links zieht es sich weiter bis zum Grün, direkt am Rand der Bahn, dort wo auf gnädigeren Plätzen breites Semirough wartet. Nach rechts spielen ist auch keine Option, man möchte ja nicht erst einen auf dicke Hose machen und dann gleich auf Bahn 1 die Ballangel zücken. Bergauf geht es auch noch und der skeptische Blick des Starters brennt sich in mein Schulterblatt.
Ich atme öfter durch als sonst am Abschlag, dann schicke ich den Ball mit dem 3er Holz schnurgerade das Fairway hinauf, oder um beim Drachenringergleichnis zu bleiben: der erste Pieks ging schon mal mitten ins Herz. Ich freue mich wie ein Kind und meine, unter dem Mundschutz des jungen Portugiesen zumindest den Anflug eines milden Lächelns zu erkennen. Dann gehe ich vor zu den 55ern und zu Marius, der den Ball ebenfalls fröhlich in die Mitte des Fairways ballert. Dann los, Du Biest! Zeig uns, was Du zu bieten hast. Wir sind bereit!
Wer schon einmal mit einem Drachen gerungen hat, weiß, dass es mit einem Pieks nicht getan ist. Wir schlagen viereinhalb Stunden tapfer auf ihn ein, aber schnell steht fest: bezwingen werden wir ihn nicht. Ergötzen wir uns also an den Teilerfolgen.
Erfolg ist ein relativer Begriff
Ein Teilerfolg ist es zum Beispiel, nach dem Abschlag nicht einen zweiten Ball aus dem Bag fummeln zu müssen. Und zwar außer an den Par 3 an fast jeder Spielbahn. Das ist das Besondere, und ich finde das Tolle an West Cliffs: Fortschritt bedeutet beim Golf nicht zwangsläufig mehr gute Schläge, sondern das Ersetzen von groben Fehlern durch weniger grobe Fehler. Irgendwann ist man normalerweise so weit, dass auch unsauber getroffene Bälle regelmäßig im Spiel bleiben.
Nicht auf diesem Platz. Ein Abschlag, der am Par 5 statt der nötigen 160 + x Meter nur 158 Meter weit fliegt, ist einfach weg. Man braucht nicht einmal „provisorisch“ zu sagen, die Puste kann man sich ebenso sparen wie das Suchen. So dicht ist die Vegetation.
Damit ist jeder Drive ein erster kleiner Nerventester, zumal da ja auch noch die seitlichen Urwälder und Wasserhindernisse sind, und auch Bunker finden sich reichlich.
Aber der Platz ist nicht nur spektakulär aufregend zu spielen, er ist auch unfassbar gut gepflegt und wunderschön. Buschwerk ist so ein schnödes Wort, klingt nach einer Mischung aus dem Hinterhof der Hempels und einem Bahndamm 20 Jahre nach dem letzten Zug.
Buschwerk hier bedeutet: ein sorgsam arrangierter Mix aus verschiedenen Pflanzen, im Herbst überwiegend in den Heidefarben grün, braun und violett. Ich verstehe von Botanik weniger als von Golf, obwohl ich beide Themengebiete seit 20 Jahren unfreiwillig miteinander vermische.
Es ist nicht Aschheim
Ich kann also keine der Ballfallen botanisch korrekt benennen, die mir und den anderen Wahnsinnigen, die den Platz von hinten oder ganz hinten spielen, das Leben schwer machen sollen. (Ja, 63er Tees gibt es auch noch, die sind aber wirklich nur was für Profis und Verrückte.) Aber auch als botanischer Laie sehe ich, wie aufwändig und liebevoll hier gepflanzt wurde.
Auch die Bunker sehen nur auf den ersten Blick struppig aus, ihre zerfransten Kanten sind das I-Tüpfelchen auf dem Gesamtkunstwerk Links Course.
Garniert wird die viereinhalbstündige Nervenprobe durch großartige Blicke, von fast jeder Bahn sieht man den Atlantik. Als sich auf den Back Nine dann auch noch die Sonne mehr und mehr durch die Wolken kämpft, bin ich endgültig unrettbar verliebt.
Also zurück zur Ausgangsfrage, ich kaufe ein „i“ und möchte lösen.
Der beste Golfplatz ist nicht der nächste. Der nächste wäre 7 km entfernt, heißt Aschheim und ist wirklich super. Aber der beste? Nein, der beste Golfplatz ist 2.413 km entfernt und ich habe ihn heute entdeckt. Endlich.
Der Fall ist geknackt. Was mache ich jetzt mit den verbleibenden 17 Tagen?
Tag 3, Royal Obidos
Wenn ich nach Beispielen für misslungene dramatische Steigerungen suche, dann fällt mir immer als erstes der Film „Werner – Beinhart!“ ein. Nach 5 Minuten glaubt man, den lustigsten Film aller Zeiten zu sehen, aber nach 6 Minuten könnte man eigentlich ausschalten. „Bitte gehen Sie weiter, es gibt nichts zu sehen“.
Ich habe in diesem Urlaub an den ersten beiden Tagen zwei der besten Golfplätze des europäischen Festlands gespielt. Das sage nicht ich, das sagen diverse Rankings in Golfzeitungen und im World Wide Web. Und ja, okay, ICH sage das auch.
Und jetzt müssen weitere 11-14 Plätze an dieser Messlatte einen Limbo vollführen. Drüber geht eh nicht, also möglichst ohne größere Schäden unten durch. Der erste Tänzer heißt Royal Obidos und steht am Mittwoch an.
Offenbar fühlt sich der Platz, immerhin ein lupenreiner Ballesteros, dem Druck nicht gewachsen und kommt ausgesprochen schüchtern daher. Er versteckt sich hinter Nebelschleiern, Sichtweite maximal 100 Meter. Im superkleinen Pro Shop gibt es nur 3 Sorten Bälle, und alle weiß. Hallo?!? Gab es hier noch nie zuvor Nebel? Mir kommt ein schlimmer Verdacht: Ist das womöglich ein weiteres Kapitel meines grausamen Golfreisefluchs? Hab ICH dieses Wetter mitgebracht?
Immer schön vorsichtig vorwärts
Auf der ersten Bahn tasten wir uns mit Sicherheitsschlägen, maximal 150 Meter weit, das Fairway nach vorne. Erst kurz hinter dem 100er-Pfosten sehe ich zum ersten Mal zumindest schemenhaft, wo das Grün ist, und 20 Meter später auch die Fahne: die ist so weiß wie der Ball und der Rest.
Die 2 wäre wahrscheinlich das Signature Hole. Das hat zumindest der Architekt selbst so empfunden und sein Markenzeichen, einen Bunker in Form eines geschwungenen „S“ für „Seve“, in den Dogleg gelegt. Schade halt, wenn man bis zur Signatur des Meisters nicht gucken kann. Dieser mutmaßlich herrliche Blick vom Hügel hinab in das Dogleg des Par 5, das sich um den See zieht, und im Hintergrund funkelt die Lagune von Obidos in der Vormittagssonne, … Er bleibt uns verborgen. Auch hier tasten wir uns auf Verdacht nach vorne und sind aufrichtig froh, jedes Mal nach ein bisschen Suchen zwei Bälle wiederzufinden.
Auf der 3 reißt es erstmals ein bisschen auf, aber noch mag mein Bushnell seine Arbeit nicht aufnehmen. Als ich versuche, vom Abschlag die Fahne zu lasern, zeigt er mir bei sechs Versuchen sechs unterschiedliche Zahlen an. Alle garantiert falsch, unter anderem die 38 und die 45.
Weil wir uns in Zentralportugal befinden, nicht einmal 100 km Luftlinie von Fatima entfernt, überlege ich kurz, ob das vielleicht ein göttliches Zeichen ist und ich am Abend einen Lottoschein mit diesen Zahlen ausfüllen soll.
Aber ich verwerfe den Gedanken wieder – dann würde bestimmt von mir erwartet, am Ort des Wunders eine Kapelle zu errichten, und das mitten auf einem ziemlich schönen Golfplatz. Also einem wahrscheinlich ziemlich schönen Golfplatz. Wenn man ihn denn sieht.
Und dann sind da ja noch die aktuell verrückten Baukosten, und was eine solche Spende für einen Papierkram bei der Steuererklärung bedeuten würde, daran will ich gar nicht denken. Nee, lass mal.
Letzte Chance auf ein Wunder
Ich schätze die Entfernung, indem ich die 6 Zahlen einfach addiere, mache einen wunderschönen Schlag und – pflump! – lande hinter dem Grün im Wasserhindernis. Der richtige Schlag am falschen Loch. Der Ball bleibt nicht auf dem Wasser liegen, sondern geht sofort unter, und damit begrabe ich die leichte Resthoffnung auf biblische Wunder endgültig.
Die folgenden 15 Bahnen verbringen wir in einem Mix aus Sonne, Nebel und allen denkbaren Zwischenzuständen. In den letzten beiden Tagen hatten wir uns ein paarmal gefreut, wenn ein paar Kilometer die Küste hoch die Wolken vom Atlantik die Berge hinaufgeklettert kamen und sich wie ein Tischtuch über die Landschaft gelegt haben. Mei, schaut das schee aus! Heute, von der Unterseite des Tischtuchs, ist es natürlich ein weniger schöner Anblick. Geschieht uns recht.
Was wir überwiegend sehen und manchmal auch nicht, ist ein sehr schöner Golfplatz, auf beiden Seiten eines kleinen Höhenzuges verlaufend und daher mal mit Blick auf das Meer und mal auf das Hinterland und die Lagune. Der Platz macht Spaß, hat ein paar sehr spannende Löcher, aber auch unabhängig vom Nebel kann er nicht an die beiden vorausgehenden Höhepunkte heranreichen. Trotzdem, der Vergleich mit dem Werner-Film ist ungerecht, auch dieser Platz und die meisten der folgenden sind richtig, richtig gut.
Tag 4, Troia
Ärgerlich. Der vierte Platz unserer Golfreise heißt Troia, damit schreibt sich eine launige Rundenerzählung ja eigentlich fast von selbst.
Aber ausgerechnet heute passt es überhaupt nicht zusammen. Die Bälle sind lang und gerade und meist dahin, wo ich hingezielt habe. Ich spiele nicht wie der Einäugige unter den Blinden, erlebe keine Odyssee. Keine Schlagvariante wird zu meiner Achillesferse, und die Sirenen der angrenzenden Villen bleiben still. Und jetzt? Was bitteschön soll ich nun erzählen?
Na gut. Dann halt vom Platz.
Die Halbinsel Troia ist das, was man früher eine Sommerfrische genannt hätte. Nah genug an der Großstadt, dass sich die Anreise auch für ein kurzes Wochenende lohnt, aber doch weit genug entfernt, dass dort nicht alle Großstädter an jedem Wochenende sind. Grüße nach Usedom.
Kein geringerer als Robert Trent Jones Senior war es, der vor gut 40 Jahren hier mit ordentlich Platz und Budget ausgestattet einen Golfplatz der Extraklasse in den sandigen, lichten Kiefernwald schaben durfte. Nach heutigen Maßstäben ist der Platz ein bisschen kurz und ein bisschen schmal und die Grüns vielleicht ein bisschen klein.
Drei „Bisschen“, die in der Kombination dazu führen, dass der Platz ganz sicher nicht einfacher ist als modernere Vertreter, sich aber gemütlicher spielt.
Es muss nicht immer ein Holz am Abschlag sein. Oft ist es schlauer, den Ball erst einmal diesseits der 200 Meter auf die richtige Seite des Fairways zu legen, um die Bäume aus dem Spiel zu nehmen und vor allem die zahlreichen sandigen Waste Areas zu vermeiden.
Da der Platz zudem ziemlich flach ist, und man unter den Kiefern eigentlich alle Bälle wiederfindet, ist das heute die erste Runde, die sich nicht nach Abenteuerspielplatz, sondern nach Wellnessbereich anfühlt.
Aber nochmal: leicht ist hier gar nix!
Fast alle Löcher, wenn sie nicht gerade ein Par 3 sind, haben mindestens ein kleines Dogleg. Wer abzukürzen versucht, darf manchmal stolz grinsen und deutlich häufiger versuchen, irgendwie aus diesem Schlamassel wieder zurück auf die Bahn zu kommen.
An der 7, einem Par 5 in ziemlich perfekter Bananenform, kassiere ich zur Strafe für meine Ungeduld und Gier eine 9. Ich habe es tatsächlich geschafft, im Zickzack auf jeder Seite des Fairways zweimal genau hinter einem Baum zu liegen. Nur weil der letzte von ihnen als Junganpflanzung angepflockt ist und mir gnädig einen Free Drop gestattet, finde ich noch vor dem Sonnenuntergang eine Lücke in Richtung Grün.
Ein paar Bahnen verlassen den Kiefernwald und wenden sich dem Meer zu, wobei noch ein etwas abgeranzter Maschendrahtzaun und 200 Meter Strand zwischen Grün und Wasserlinie liegen. Pebble-Beach-Feeling kommt also nicht auf.
Laut dem aktuellen Ranking des Golf World Magazine der 100 besten Plätze des europäischen Festlands soll Troia der Höhepunkt meines Urlaubs sein. Platz 12, und auch das Beste, was Portugal zu bieten hat: punktgleich mit dem Sieger Monte Rei und nur im Computerstechen unterlegen.
Allerdings lässt sich aus dem Ranking ein ziemliches Faible für echte Links Courses herauslesen. Die Autoren lieben es vor allem flach und sandig und direkt am Strand.
Wer wie ich bei der Golfrunde auch gerne mal ein paar Höhenmeter macht, sieht das womöglich anders und bewertet Praia d’El Rey (Platz 30) und West Cliffs (Platz 15) höher. Trotzdem: am vierten Tag des Urlaubs habe ich zum vierten Mal einen Golfplatz aus den Top 100 gespielt.
Jetzt kann es wirklich nicht mehr auf diesem Niveau weiter gehen. Der Werner-Beinhart-Effekt muss bald einsetzen.
Auf Bahn 18, deren Grün wie ein Schildkrötenpanzer nach allen Richtungen abfällt, stelle ich mich beim Chippen ziemlich blöd an. Ich umrunde das Grün beinahe so oft wie Hektor und Achilles bei ihrer Verfolgungsjagd die Stadt. Also doch noch ein bisschen Troja in Troia.
Tag 5, Amendoeira Resort, Faldo Course
Dass Deutschland eine Autofahrernation ist, erkennt man auch an den Beschreibungen der Plätze auf 1golf.eu, dem Onlineportal des Albrecht Golfführers. Vermutlich fände sich selbst beim Kurzplatz von München Eichenried, 6 Löcher, 621 Meter Länge plus 2 Meter Höhenunterschied, jemand, der seine Bewertung mit den Worten „ein Cart ist unbedingt zu empfehlen“ abschließt.
Nimmt man diese Bewertungen zum Maßstab, dann ist es erstaunlich, dass ich es überhaupt über die bisherigen vier Plätze geschafft habe, zu Fuß, ohne Sherpa oder extra Sauerstoff.
Liest man hingegen englische Platzbewertungen, dann enden sie eher mit den Worten „we played 5 hours and only saw the beer and sandwich cart twice. Disgraceful!“
Ich würde, wenn ich vor der Wahl stünde, eher die englische Version der Fahrzeug-Nutzung bevorzugen, aber heute stehe ich nicht vor der Wahl. Carts sind im Amendoeira Resort an der Algarve auch für die Spieler obligatorisch.
Theoretisch.
Praktisch hat die Anlage ein riesiges Problem mit der Spielgeschwindigkeit und damit auch mit der Anzahl der verfügbaren Carts um die Mittagszeit. Die frühen Flights kommen einfach nicht rechtzeitig zurück. Der Caddie Master hat augenscheinlich längst resigniert und sitzt nur noch mit minimalem Aufwand die Zeit bis zur Rente ab.#
Minutenlang starrt er wortlos in ein Büchlein auf seinem Tisch, hin und wieder knarzt eine Stimme aus dem Funkgerät, dann kritzelt er eine Notiz ins Büchlein und verfällt wieder in seine Starre. Ein paar Meter weiter mahnt ein Schild „Bitte hier warten“. Und hinter dem Schild steht ungeduldig, aber folgsam ein knappes Dutzend Beobachter und hofft, dass endlich mal etwas passiert. Stünde stattdessen „Bitte nicht füttern“ auf dem Schild, es wäre eine Szene aus dem Zoo. Faultiergehege.
Ich schaue mir das nicht stattfindende Schauspiel mehr als zehn Minuten an, zunächst sogar geduldig, man ist ja Gast. In dieser Zeit glotzt er konsequent an uns vorbei, bloß niemandem die Chance geben, ihn anzuquatschen. Er weiß ohnehin, was wir wollen: ein Cart, oder eine Auskunft, wann mit einem Cart zu rechnen ist.
Beides zur Zeit nicht verfügbar.
Ich bin zwar eigentlich noch nicht dran, aber meine Startzeit rückt näher, und ich brauche ja eigentlich gar nix von ihm, außer der Bestätigung, dass die Lage so übel ist, wie sie aussieht. Ich habe schließlich einen E-Trolley im Kofferraum, und weil Marius in Lissabon geblieben ist, diesen ab heute auch selbst zur Verfügung. Ehe ich auf die Runde verzichte, verzichte ich lieber auf den fahrbaren Untersatz.
Ich bekomme einen bösen Blick dafür, dass ich es wage, ihn anzusprechen. ‚Siehst Du nicht, dass ich beschäftigt bin?‘ signalisiert die grimmige Stirnfurche. Nein, sorry, das war nicht zu erkennen. Aber ich bekomme auch die Auskunft, die ich benötige. Rechtzeitig, um mein Bag zurück zum Parkplatz zu schleppen und den Trolley aufzubauen, aber zu spät für Driving Range und Kurzspielareal.
Ich hätte mir für beides Zeit lassen können, denn als ich an Tee 1 des Faldo Course ankomme, stehen dort sechs Golfmobile. Ach, HIER sind sie also! In diesen sechs Karren zwölf fröhliche Briten, die eigentlich alle schon auf dem Platz sein sollten, aber der Stau beginnt bereits an Tee 1. An der Lautstärke ihrer Unterhaltungen und dem Inhalt des Papierkorbs lässt sich erahnen, dass sie die Wartezeit unter strenger Befolgung des nationalen Klischees verbracht haben. Ich habe also eine halbe Stunde Zeit, zu sehen, wie bierselige Engländer so ihre Golfrunden zu beginnen pflegen. Da weit und breit kein Starter in Sicht ist, tun sie es feierlich und ohne jede Eile.
Cheers
„On the Tee, representing North Cothelstone Hall, Archie!” Gejohle, Applaus, Zwischenrufe, und Archie lässt es sich nicht nehmen, drei Probeschwünge zu machen, die von den elf anderen mit lautstarkem „Oooooo-eeeeeey!“ begleitet werden. Wie im Ryder Cup, nur dass im Ryder Cup die Startabstände 15 Minuten betragen, und sämtliche Archies anschließend zumindest halbwegs die Bahn treffen. Hier sind die Abstände theoretisch 9 Minuten, das wäre schon ohne das Ritual mit dem Announcer knapp. Und Archie kloppt den Ball gleich mal links in eine Palme.
Bis dann irgendwann auch mal die Repräsentanten aus Middle Fritham und Nether Addlethorpe feierlich angekündigt wurden und ihre Bälle ins Spiel, oder daneben, gebracht haben, gehen locker weitere 5 Minuten ins Land.
Und dann muss ja Archie auch noch das Cart die Serpentinen hinab in die Senke und drüben wieder den Hang hinauf manövrieren und dort aus 3 Palmen diejenige identifizieren, hinter der sich sein Ball versteckt. Respekt, letzteres gelingt bereits im dritten Versuch.
Irgendwann trudelt dann auch mein Flight ein. Etwa 20 Minuten nach ihrer geplanten Startzeit hatten sie endlich Carts bekommen, nun stellen sie erstaunt fest, dass sie immer noch eine Viertelstunde warten müssen.
Mir gibt das die Gelegenheit, meinen Trolley wieder im Auto zu verstauen und neben Bob aus Birmingham Platz zu nehmen. Auch mein Flight ist also zu drei Vierteln eine englische Angelegenheit. Vermutlich betrachten sie den Platz, weil er nach einem Landsmann benannt ist, als ihr inoffizielles Konsulat, so wie auf Mallorca viele meiner Landsleute das Oberbayern. Kein anderer Platz in meinem Urlaub war so konsequent in englischer Hand.
In der Ruhe liegt die Kraft
Dank Cart schaffen wir die Runde in flotten 345 Minuten. Ja, richtig gerechnet: wir sind 5:45 unterwegs, zusammen mit den 30 Minuten Ryder Cup an Tee 1 bin ich also deutlich über 6 Stunden auf dem Platz. An jedem Abschlag müssen wir zwischen 2 und 5 Minuten warten, auf den Fairways oder in den Bunkern dann wieder. Wenigstens kommt das Cart mit dem Bier und den Sandwiches zweimal vorbei, alles andere wäre disgraceful.
Dass die Runde so lange dauert, liegt aber nicht nur an der Spielstärke (gering!) und Trinkfreude (hoch!) der Vorderflights. Der Platz ist selbst von mittleren Tees ein kaum beherrschbares Ungetüm, immer wartet ein Bunker genau in oder neben der Drivelandezone, viele Bahnen werden statt von Semirough von Waste Areas umsäumt. Dort kann sich der Ball wie auf einem Flippertisch sekündlich neu entscheiden, ob er zurück auf die Bahn hoppeln möchte oder ins dornige Gestrüpp. Und selbst wenn der Abschlag mal das Fairway findet, ziehen sich weitere verästelte Bunker bis hin zum Grün und lauern auf Fehlschläge.
Macht der Platz Spaß? Ja! Ist er schön? Großartig! Ist er geeignet, kognitiv eher durchschnittlich begabte Golftouristen im 9-Minuten-Abstand durchzuschleusen? Auf keinen Fall, und ohne Starter und Marshal noch weniger.
Ich habe dank der Golfhäftet Card „nur“ 100 Euro gezahlt, und wir kommen deutlich vor dem Sonnenuntergang zurück ins Clubhaus. Wenn ich aber an die zahlreichen Flights hinter uns denke, von denen bestimmt einige Spieler die reguläre Greenfee von 149 Euro berappt haben, um dann nach 6 Stunden auf der 16 abzubrechen… dann wundert es mich schon, dass der Platz auf 1golf.eu neben dem regelmäßigen Hinweis, dass er ohne Cart nicht zu bezwingen sei, auch ausgesprochen gute Noten bekommt.
Five down, ten to go. Freut euch auf Teil 2 … demnächst hier im Blog.
Blog jetzt abonnieren
Du willst keinen Artikel mehr verpassen? Dann abonniere jetzt kostenlos den Blog und du bekommst die Infos über neue Berichte automatisch – vor allen anderen!
Toller Bericht, ich freue mich auf die nächsten.
Danke dir, das Lob gebe ich weiter an Matthias.
Ich freu mich immer, wenn er in den Urlaub fährt, weil er dann oft solche Berichte mitbringt… 😊